In der Donaustrasse 96 blickt ein gigantisches Mammut strafend auf einen Lidl-Parkplatz hinunter. Es gehört zu dem Wandbild „Neue Welt“, das hier seit 1987 zwei Brandmauern ziert. Passend dazu hat der Künstler Manfred Brunner damals noch einen zweiten ausgestorbenen Riesen gemalt, ein Wollnashorn in Augenhöhe, Karl-Marx Ecke Saltykowstraße; es verschwand nach und nach unter Tags und Graffiti und wurde schließlich überstrichen.

Tief unter den Straßen, überbaut und unerreichbar, sind die Gebeine der „Rixdorfer Fauna“ begraben. So taufte man das verlorene Tierparadies dieser Gegend, als man im 19. Jahrhundert in schier endloser Folge Knochenreste von Urzeit-Säugetieren aus dem sandigen Boden zu buddeln begann. In Eintracht mit Mammuts und Wollnashörnern lebten hier Wildpferde und Wildesel, Höhlenbären und Hyänen, zarte Polarfüchse, Leoparden, gewaltige langhaarige Höhlenlöwen, Elche, Rentiere, Riesenhirsche, Wisents und Moschusochsen, unbehelligt von Jägern: Homo-Sapiens-Knochen wurden in dieser Sedimentschicht keine entdeckt. Man nennt sie bis heute den „Rixdorfer Horizont“; unter einem Horizont versteht man in der Geologie einen als Einheit definierten, flächigen Gesteinskörper.
Die Funde sind schwer zu datieren; es mag 100.000 Jahre her sein, seit die Mammutherden über die Neuköllner Steppen trampelten, oder nur 50.000. Manche Knochen stammen von arktischen Tieren, andere, wie Leopard oder Dammhirsch, gehören eigentlich in eine Warmzeit. Was hier wann zusammengeriet, was postum von Schmelzwasser zusammengespült wurde, lässt sich nicht mehr zweifelsfrei enträtseln.
Zum ersten Mal aufgeschlossen wurde der Rixdorfer Horizont in der Kiesgrube, in die sich heute der Körnerpark schmiegt, und Franz Körner, der Grubenbesitzer, wurde damit erst zufällig und dann mit steigender Begeisterung zum Hobby-Paläontologen. Im Vorgängerbau der heutigen Galerie im Körnerpark hatte er bald ein kleines Museum eingerichtet mit all den rätselhaften Gebeinen, die ihm seine Arbeiter brachten. Um die Jahrhundertwende hatte er schon so viele davon, dass er sie als Geschenke an naturforschende Vereine überall in Deutschland schickte. Auch war Herr Körner ein gut gelaunter Mensch. Im Monatsblatt der brandenburgischen Gesellschaft für Heimatkunde lesen wir über ein Vereinstreffen 1897: Herr Franz Körner erfreute noch durch ein humoristisches, antediluvianisches rixdorf-britzer Mammuthlied, welches nach der Melodie „Wenn meine Frau mich ärgern thut“ ergötzlich gemeinschaftlich gesungen wurde.

Einige Funde der Rixdorfer Fauna befinden sich heute im Museum für Naturkunde. Sie sind dort aber nicht ausgestellt, sondern lagern in Klimakammern: Die Knochen sind nicht vollständig versteinert und „arbeiten“ noch. Im Museum Neukölln im Gutshof Britz lässt man sich von solchen konservatorischen Details nicht ablenken: Hier liegt ein schöner Unterkiefer eines heimischen Wollhaarmammuts in einer Vitrine und man kann sich jederzeit an ihm erfreuen.

cw August 2024