Dank der Initiative „Offene Gärten“, die Berliner Privatgärten für die Öffentlichkeit zugänglich macht, darf man zweimal im Jahr auch in die Bauerngärtchen schauen, die sich im Böhmischen Dorf verstecken. Die Bewohner*innen erzählen gerne Geschichten; bei manchen gibt es Kaffee und Kuchen, manche machen Flohmarkt, und man kann Ableger von Pflanzen kaufen, die alle aussehen, als habe man sie Blatt für Blatt in Liebe getränkt. Die Häuschen um die Kirchgasse sind allesamt Doppelhäuser und stammen aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert. Die verwinkelten Gärten, die sich an ihre Seiten schmiegen, waren früher keine Erholungsorte, sondern Anzuchtgärten; das Gemüse, die man hier vorzog, brachte man dann auf die Felder.

„Ich wohne hier seit 275 Jahren“, sagt eine Bewohnerin mit großer Überzeugung, als sei sie in eigener Person als Glaubensflüchtling von Böhmen nach Rixdorf emigriert. Wie die meisten hier hat sie das Haus geerbt. Viele Familiennamen sind tschechisch. Sie ist dankbar für den schönen Ort, fühlt sich aber von vielem geplagt: Von holprigem Kopfsteinpflaster, zu langen Gartenschläuchen und komischen Leuten, die nachts auf der Gasse schleichen und wahrscheinlich auch manchmal einbrechen. Immer sind Stücke von der Hecke ab. Ihre Nachbarin zog „aus dem Norden“ – gemeint ist Tegel – ins kaputte Familienhäuschen, der Liebe wegen, vor vierzig Jahren. “ Meine Freunde haben gesagt, ich spinne. Es war alles völlig runter.“ Jetzt erstrahlt es im Frühlingsglanz, Rosen, Clematis, türkischer Mohn. Man sieht noch, wo früher der Stall war und das Milchhäuschen, wo man Butter und Käse machte.

Um die Ecke wohnt die Familie Rosenthal-Schöne von „Kutschen-Schöne“ am Richardplatz. Frau Rosenthals Oma ist die Ururenkelin des letzten Dorfschulzen, Daniel Friedrich Wanzlik. Von hier aus hat er bis 1873 das Dorf regiert, in einem kruden Amt zwischen Sheriff, Richter und Bürgermeister. Nach Herrn Wanzlik ist der Wanzlikplad benannt. Früher trieb man hier die Kühe auf die Weide. Das war praktisch, weil der Pfad so eng ist, dass nur eine Kuh durchpasst. Da ging keine verloren und man konnte sie alle zählen.

Das große Los hat Herr Bloch gezogen: Er pflegt ein kleines Stück Land hinter dem Gemeindehaus der Herrnhuter als eine Art Schrebergarten. Von allen geheimen Gärten sei dies der geheimste, findet Herr Bloch. Niedlich und verschlafen klemmt er zwischen einem hässlichen Mietshaus und dem Betsaal, der ein wenig an eine Turnhalle erinnert. Die Herrnhuter hätten die Parzelle hinzugekauft, um sich eine Autowerkstatt vom Leibe zu halten, erzählt Herr Bloch. Er wohnt fünf Minuten entfernt. Früher hat er für die Herrnhuter gearbeitet, „ein-Euro-technisch, Hans Dampf in allen Gassen“. Auch dieses Plätzchen war vor 200 Jahren ein Anzuchtgarten; dabei wurde wieder und wieder Erde aufgeschüttet, bis die Fundamente des Schuppens so tief im Boden steckten, dass man heute mehrere Stufen hinuntersteigen muss, wenn man hineinwill. Herr Bloch erzählt von anderen Nachbarn, ebenfalls Gartenbeglückte, ebenfalls tschechische Namen. Eine achtzigjährige Dame richtet eine Fête Blanche aus zu Ehren eines Freundes, den sie seit neunundsiebzig Jahren kennt. Der ganze Garten in Weiß! Herr Bloch hat schon alles zusammen, nur weiße Schuhe braucht er noch. Er macht Flohmarkt im Schuppen und verkauft seine Krawattensammlung; er liebt Krawatten, aber es gibt so wenig Gelegenheit, welche zu tragen. Die Vögel singen. Die Krawatten sind schick und gehen weg wie die warmen Semmeln.

Der nächste große Termin der „Offenen Gärten“ ist der 21./22. September 2024. Eine Besucherplakette fürs ganze Jahr und alle Gärten kostet 5 Euro. (https://www.offene-gärten.de)
CW