In der Richardstraße 104 ist die Biografische Bibliothek zuhause, das einzige Buchantiquariat Europas, das nur biografische Literatur verkauft. Es ist ein kleiner Laden, voll, aber nicht vollgestopft, gemütlich, gut sortiert. In einem Zwischenraum zwischen Regal und Hinterwand hat Katinka Krause ihren Schreibtisch. Früher war sie Lehrerin und arbeitete in einem Projekt, das wohnungslosen Frauen half, wieder auf die Füße zu kommen. Als es Einsparungen zum Opfer fiel, eröffnete sie 2005 ihren Laden: „Nach dem Motto, jetzt mache ich das, was mir Spaß macht, und vielleicht kann ich davon auch leben.“ Grundlage waren eigene Bücher, die sie aussortieren musste, weil ihre Regale zu Hause zusammenbrachen.
Biografien waren immer schon die Leidenschaft der passionierten Bücherjägerin. Sie hat Geschichte studiert, und wenn sie Romane liest, interessiert sie sich oft am meisten für das Leben der Autor*innen. Natürlich ist der Laden keine Goldgrube, aber er ist stabil. Kein Online-Antiquariat, kein Buchhandelssterben, auch keine Viruspandemie hat es geschafft, ihm den Garaus zu machen. Bald wird es auch wieder mehr Lesungen geben.
Im benachbarten Ladengeschäft, über den Hausflur mit dem Buchladen verbunden, befindet sich die Galerie Olga Benario. Sie war ursprünglich ein Projekt der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Verband der Antifaschisten), später ein autonomes Projekt. In diesem Jahr wird sie vierzig Jahre alt. Die nichtkommerziellen Ausstellungen befassen sich mit Zeitgeschichte, erzählen von Protest und Widerstand. Die Galerie ist international bestens vernetzt und bringt Menschen zusammen. Ihre Internetseite ist achtsprachig.
Katinka Krause betreut Buchladen und Galerie gleichzeitig. „Das ist das Praktische: Dass ich die Leute von einer Seite zur anderen führen kann. Aber manchmal vergesse ich, die Tür zuzumachen. Da stehe ich drüben und erzähle im Feuer von Olga Benario, und da stehen dann plötzlich Leute und fragen, ‚kann man hier auch Bücher kaufen‘?“
Die deutsch-jüdische Kommunistin Olga Benario, 1908 in München geboren, stand aus drei Gründen Patin für die Galerie: Eine Antifaschistin sollte es sein, eine Internationalistin – und eine Bewohnerin Neuköllns. Benario verbrachte hier nur drei Jahre, die allerdings prägend waren. Danach lebte sie in der Sowjetunion und in Brasilien, wo sie inhaftiert und an Nazi-Deutschland ausgeliefert wurde. 1942 wurde sie in der Tötungsanstalt in Bernburg ermordet. Die Galerie hat eine informative, reich bebilderte Kurzbiografie über ihre Namensgeberin veröffentlicht. In der Innstraße 24 ist ein Stolperstein für sie verlegt.
Die letzte Ausstellung, ein Projekt der Rosa-Luxemburg-Stiftung, war den politischen Kämpfen türkischstämmiger Migrant*innen in West-Berlin in den 1970er- und 1980er Jahren gewidmet. „Wir haben die Ausstellung wegen dieser schrecklichen Diskussion um Remigration genommen“, erzählt Katinka Krause. „Da haben wir gedacht, da passt das, wenn wir sagen: Wir sind keine ‚Rausländer‘!“ Die Texte waren zweisprachig, was die Galerie noch einmal mehr in ihr Umfeld einband: „Da standen meine Nachbarn aus der Türkei, die nicht sehr gut deutsch sprechen, plötzlich alle vor der Tür und sagten ‚Na nu!'“
Die nächste Ausstellung wird Ende Juni eröffnet. Sie erzählt von der portugiesischen Nelkenrevolution, die vor fünfzig Jahren das Salazar-Regime stürzte; in leichter Sprache, auf deutsch und englisch und von einer Broschüre begleitet. Kuratiert wird sie von einem Berliner Kollektiv, das keinen Namen hat und sich zum Ziel gesetzt hat, linke Geschichte „nicht den Herrschenden zu überlassen“, sondern sie aus linker Perspektive zu erzählen.
CW Juni 2024