Schon mal was von der Richardsburg gehört? Auch wenn Neukölln bzw. Rixdorf so alt ist, dass es realistisch eine Burg haben könnte, war die Richardsburg doch eher eine neue Erscheinung. Sie war eher das Gegenteil eines schönen Schlosses, nämlich ein großer, eher hässlicher Klotz, in der Richardstraße 35, gebaut im Jahr 1905: Ein Paradebeispiel einer Mietskaserne.
Mietskasernen waren bzw. sind um die Jahrhundertwende gebaute Mietswohnungen, die unter heutigen Baustandarts definitiv nicht zugelassen wären. Sie zeichneten sich durch enge Höfe, kleine Wohnungen und schlechte Hygienemaßnahmen aus. Wie damals üblich waren die Sanitäranlagen in der Regel in den Höfen zu finden, doch mussten sich hier teilweise um die 100 Personen eine Toilette teilen. Die Hinterhöfe waren knappe 6m² groß, sodass kaum Licht in die Wohnungen viel. Dennoch lebten hier sehr viele Menschen auf kleinem Raum. Und das war kein Zufall: Mietskasernen waren darauf ausgelegt so viele Menschen wie möglich für zu viel Geld wie möglich unterzubringen. Die Bewohner:innen gehörten in der Regel zu den Ärmsten der Armen, hatten jedoch häufig keine andere Wahl. So war die Richardsburg eher berüchtigt als berühmt.
Mietskasernen entstanden in Rixdorf und Berlin zuhauf um die Jahrhundertwende. Dies war eine direkte Folge der Industrialisierung und der darauf folgenden Zuwanderung aus den umliegenden ländlichen Gebieten. Rixdorf wuchs dramatisch an, von ca. 8.000 Personen in 1874 auf ca. 275.000 Menschen im Jahr 1924. Diese Menschen brauchten natürlich Wohnungen. Da die Arbeiter – im Kaiserreich noch ohne nennenswerte Rechte – meist nur das verdienten, was sie zum Leben brauchten, wurden auch die nun entstehenden Häuser eher schlicht und schnell hochgezogen. Das zeigt sich zum Beispiel auch in der Hertzbergstraße, die erst um 1900 entstand. Hier findet man vor allem schmucklose Häuser, die deutlich mehr schiefe als gerade Wände besitzen.
Der Richardstraßen-Prozess
Die Richardsburg war jedoch nicht nur wegen ihrer Tristheit und Armut berühmt. Im Jahr 1931 ereignete sich hier ein Vorfall, der symbolisch für die Wirren der Weimarer Republik. In dem sozialistisch-kommunistisch geprägten Neukölln hatte die nationalsozialistische SA ein sogenanntes Sturmlokal eröffnet. Das führte zu großen Spannungen, die sich in einem Zusammenstoß zwischen der SA und kommunistischen Demonstranten entluden, bei dem der Wirt des Gasthauses ums Leben kann. Mehrere Kommunisten wurden vor Gericht gestellt, aber aus Mangel an Beweisen freigelassen. Bis heute ist nicht eindeutig belegt, wer für den Tod des Wirtes und für die Initiierung des Zusammenstoßes verantwortlich ist.
Jedoch rollten die Nationalsozialisten den Konflikt im Rahmen der Reichstagsbrandsverordnung 1933 wieder auf und verhafteten die angeklagten, aber wieder freigelassenen Kommunisten. Es sollte ein Exempel statuiert werden, um die Vorherrschaft der Nationalsozialisten in Neukölln zu sicher. Einige der Beschuldigten konnten fliehen, wie z.B. Emil Linke, der einer der Hauptorganisatoren des Protestes gegen die SA war. Für ihn wurde 2013 ein Stolperstein in der Böhmischen Straße verlegt. Wer mehr über sein Leben erfahren möchte, kann sich hier informieren.
Auch wenn die Bombadierungen des zweiten Weltkrieg große Teile von Neukölln zerstörten – die Richardsburg überlebte. Erst 1971 wurde die baufällige Mietskaserne abgerissen, die Fläche lag jahrelang brach und wurde schließlich 1995 wieder in Benutzung genommen. Im Sommer 1995 wurde hier der Comeniusgarten eröffnet, über den wir im zweiten Teil von Damals und heute berichten wollen.